18. August 2029
Percy rückte seinen Gurt zurecht und blickte rüber zu Gregory, dem Kommunikationsoffizier der Starship Explorer. Beide lächelten. Dieser Moment war ein Besonderer und sie hatten beide viel dafür gearbeitet.
„Ich glaub, ich muss mich übergeben.“ Kyle Forstall machte ein Gesicht, als hätte ihm gerade jemand mit voller Wucht in die Magengrube geschlagen.
Percy blickte an seiner Rückenlehne vorbei nach hinten und betrachtete Kyle. „Linguistik und Politik helfen halt nur begrenzt, wenn man in einer Blechbüchse ins All geschossen wird.“
Kyle schüttelte den Kopf, was in dem wuchtigen Astronautenhelm kaum auszumachen war. „Edelstahl, Captain. Nicht Blech.“
„Na das kann ja ein Spaß werden.“ mischte sich Gregory in die Unterhaltung ein und betätigte währenddessen einige Kippschalter auf einer Konsole, die vor ihm ragte. „Houston, wir wären dann soweit. Alle drei sind in bester Verfassung und die bordinternen Checks sehen alle positiv aus.“ Aus den Headsets der Besatzung ertönte ein kurzes Knacken und Rauschen, dann antwortete die Missionskontrolle in Houston.
„Alles klar. Von unserer Seite aus gibt es auch ein Go für den Start. T Minus zwei Minuten.“
Percy schloss die Augen. Die Welt war eine andere seit April diesen Jahres. Für ihn und ein paar Geheimnisträger ein paar Tage länger als für den Rest der Welt, aber das machte heute, zum Start der Wanderer-Mission keinen nennenswerten Unterschied. Am 19. April 2029 verkündete die NASA in einer medial groß aufbereiteten Pressekonferenz den etwa zwei Wochen vorher stattgefundenen Erstkontakt mit einer außerirdischen Intelligenz. Zunächst fand die Kommunikation zu dieser über die Sparrow-Sonde, später per direktem Funkkontakt von der Erde aus, statt. Das Lebewesen an Bord des Wanderers sprach erwartungsgemäß keine der den Erdenbewohnern bekannte Sprache und es wurden auch keine akustischen Funksignale übertragen – Man konnte sich aber relativ schnell auf einen Austausch von Binärdaten einigen. Es ergab logisch betrachtet schon irgendwie Sinn, aber trotzdem hielt Percy die Tatsache, dass zwei einander bisher völlig fremde Lebensformen das Prinzip binärer Daten verstanden, für äußerst beachtlich.
Natürlich war die versammelte Menschheit nicht nur darüber erstaunt, dass es nachweislich intelligentes Leben außerhalb ihres Heimatplaneten gab, sondern auch sehr neugierig auf dessen erste Worte. Bezüglich dieses Details verfiel man seitens der Offiziellen erwartungsgemäß in ein ur-menschliches Verhaltensmuster und log.
Die tatsächlichen ersten Daten, die vom Wanderer auf der Erde empfangen und ausgewertet wurden, waren Positionsangaben. Zum Zeitpunkt der Pressekonferenz hatte man diese noch nicht als solche verstanden und hielt sie deshalb auch für wenig pressewürdig. Daraufhin folgte ein regelrechter Wasserfall an Nullen und Einsen, der sich nach Analyse durch neuronale Netze und Experten der Linguistik als verbaler Kommunikationsversuch entpuppte. Einer dieser Experten war Kyle Forstall, der relativ schnell Muster in diesen Daten erkannte, auf die er eine im Rahmen seiner Doktorarbeit verfasste Methodik zur Verständigung mit Fremdsprachlern anwendete. Es dauerte nicht mal eine Woche, bis man sich mit der fremden Intelligenz grundsätzlich unterhalten konnte. Die Effizienz seiner Arbeit war es wohl, die Forstall zum geeigneten, dritten Crewmitglied auf dieser Mission machte.
Bis zum heutigen Tage hatte man einige Informationen über den Wanderer zusammentragen können: An Bord des Raumgefährtes befand sich nur eine Lebensform. Sie befand sich auf einem gezielten Kurs Richtung Erde, weshalb wusste man aber nicht. Der Treibstoff würde vermutlich nicht bis dorthin reichen und der Vorrat des (dem auf der Erde ähnelnden) Sauerstoffgemisches, welches der fremdartige Pilot zum Überleben benötigte, ginge vermutlich auch vorher zur Neige.
Berechnungen ergaben, dass man bei gleichbleibender Geschwindigkeit des Wanderers und eigens benötigter Vorbereitungszeit ein Rendezvous in 19 Monaten in ungefährer Entfernung des Mars arrangieren konnte. Dieses Vorhaben wurde seitens der fremden Intelligenz bestätigt und der heutige Start der Starship Explorer war die Konsequenz aus all diesen Ereignissen.
Seit ungefähr vier Wochen herrschte Funkstille zwischen der Erde und dem Wanderer. Diese trat ohne Vorwarnung ein und ein Team internationaler Physiker, Ingenieure und Astronauten grübelte über mögliche Ursachen. Der bedauerliche, aber aufgrund der vorliegenden Fakten wahrscheinlichste Grund hierfür lag im Tod des Außerirdischen. Wünschenswerter wäre natürlich ein Ausfall der Kommunikationsanlagen. Sollte es bei der Funkstille bleiben, brächte wohl nur ein erfolgreicher Verlauf dieser Mission neue Erkenntnisse.
Die ersten Worte. Sie gingen Percy nicht aus dem Kopf. Der NASA-Pressekonferenz nach lauteten Sie: „Erbitte Antwort von irgendwem dort draußen.“
In Wirklichkeit aber war es: „Flieht!“, gefolgt von den Positionsdaten, die wie sich mittlerweile herausstellte, auf einen Punkt an der Oberfläche des schwarzen Loch zeigten.
Jennifer. Er ließ sie zurück. Er wusste nicht, ob er sie vor dem Schicksal, dass der Erde und all ihren Bewohnern drohte, retten konnte.
Jennifer.
„T Minus Zehn, Neun, Acht…“. Percy fegte seine Gedanken beiseite und blickte aus dem Bugfenster der Explorer. Diese Mission war vermutlich das Beste, was er für seine Tochter und die Zukunft seines Heimatplaneten unternehmen konnte. Er hatte keine Ahnung, was sie dort draußen in der Weite des Alls erwarten würde – er hoffte, jemand mit einer Antwort.
Vor den Augen einiger Milliarden Zuschauer, die diesen Moment weltweit an ihren Empfangsgeräten verfolgten, hob das Raumschiff in einer gewaltigen Explosion aus Feuer, Dampf und Rauch vom Erdboden ab und verließ die Startrampe im Cape Canaveral, auf ihrem Weg Richtung Mars.
