07. April 2029

Kein guter Morgen.

Dieser Kopf! Percy hielt ihn sich, in der Hoffnung, er würde sich unmittelbar in Luft auflösen. Das ätzende Tageslicht und ein Blick auf sein Handy verrieten ihm, dass er viel zu lange geschlafen hatte.

Vier verpasste Anrufe. Alle von Jennifer. Er liebte seine Tochter, aber hinter jedem ihrer Anrufe der letzten Monate verbarg sich ein gewisser Zweck, den er heute nur ungern erfüllen wollte. Als Journalistin hielt sie Telefonate mit ihrem Vater vor allem immer dann für angebracht, wenn sie ihre eigenen Recherchen zu Themen der Raumfahrt und zum Saturn-Phänomen im Speziellen nicht voran brachten.

Percy fühlte sich mies. So richtig mies.

Vor ein paar Tagen war er noch hin und her gerissen. Einerseits vermutete die Menschheit ihren baldigen Untergang, andererseits befand er selbst sich beruflich auf einer der wenigen Positionen, die aus dieser Vermutung bald eine Gewissheit hätten machen können. Vielleicht wäre er von seiner Mission aber auch als strahlender Held zurückgekehrt und hätte lebensrettende Erkenntnisse im Gepäck! Das war jetzt egal.

Percy blieb auf dem Sofa liegen und betrachtete die Hinterlassenschaften letzter Nacht. Eine Flasche Wodka, deren Inhalt sich nun größtenteils in ihm selbst befinden musste, fiel ihm ins Auge. Zigarettenstummel schlummerten in einem zum Aschenbecher umfunktionierten Longdrink-Glas. Er fragte sich, wie lange ihm die NASA wohl noch ein Gehalt zahlen würde oder ob die Personalabteilung tatsächlich so abgedroschen war, ihm so unmittelbar nach Absage seiner Mission eine Kündigung auszusprechen.

Sein ganzes Leben richtete sich seit Abschluss seines Studiums auf diesen einen Moment aus und nun war er fort. Wut stieg in seinem Bauch auf und er nahm sich vor, seinem Vorgesetzten im Laufe des Tages gehörig die Meinung zu geigen.

Doch nicht jetzt. Noch nicht.

Percy raffte sich auf und räumte die Spuren seines gestrigen Besäufnisses in die Spülmaschine sowie die Mülltonne. Er nahm sich vor, heute zum Friseur zu gehen. Der Stress der vergangenen Wochen hatte seine ohnehin nur noch spärlich vorhandene Haarpracht ein wenig ausufern lassen. An den Schläfen spross es wie zu Jugendzeiten, das Haupthaar wurde jedoch immer dünner. Kurz dachte er an seine Studienzeit zurück. Damals, mit 21, lernte er Dana kennen, seine baldige Ex-Frau. Auf der Party eines Freundes sprach sie ihn unverblümt auf seine Lockenpracht an und bat darum, ihn mal frisieren zu dürfen.

Frisiert hatte sie ihn nie, aber wenige Wochen später waren sie ein Paar.

Sie war alles, was er sich je von einer Partnerin erträumt hatte. Zauberhaftes Lächeln, tolle Figur und voller Gedanken. Gedanken, die sie gern mit ihm teilte. Als sie das Gefühl hatte, mit ihrem Psychologie-Studium nicht voran zu kommen und sich fortan dem Schreiben widmen wollte, stand Percy ihr zur Seite. Es war nicht immer einfach und finanziell mussten sie so manche Hürde nehmen, gerade als Dana dann mit Jennifer schwanger wurde und Percy sich der Aufgabe gegenüber sah, eine Familie ernähren zu müssen. Sie hatten es trotzdem -gemeinsam- geschafft. Dana wusste, was Percy mit sich und seinem Leben vorhatte und war stets da, wenn er an sich und seinen Erwartungen daran zweifelte.

Für einen kurzen Moment dachte er daran, Dana anzurufen. Ein Blick in den Badezimmerspiegel brachte ihn jedoch von diesem Gedanken ab und er suchte hektisch ein paar Klamotten zusammen, die sich für einen Ausflug zum Friseur eignen würden.

„Ich lass mich nicht verarschen!“ sagte er zu sich selbst, als er die Straße von seiner Wohnung auf dem Weg in die Innenstadt hinunter lief. Sein Blick wanderte zum Himmel. Das Ding war nicht zu sehen – zu hoch waren die Häuserblocks, die ihm den Blick darauf versperrten.

Percy spürte eine rhythmische Vibration in seiner Hosentasche und zog sein Handy heraus. Jennifer! Schon wieder. Ihm war nach keiner Konversation zumute, die ohnehin nicht ihm, sondern der gestrigen NASA – Pressekonferenz gelten würde. Er stopfte das Handy zurück in die Hosentasche und fühlte sich erleichtert, als die Vibration endlich stoppte. Nach einigen Minuten war er am Haus seines Friseurs angekommen. Seit fast fünf Jahren war Percy dort Stammkunde. Nicht, weil er diesen Friseur für besonders talentiert hielt  – es machte in seinem Fall ohnehin keinen großen Unterschied – er war einfach nur gut zu Fuß zu erreichen und war nicht so sehr auf Smalltalk aus, wie die meisten Friseure, die er kannte.

„Wen haben wir denn da?“ rief Bobby Miller Percy zu, während er den Salon betrat.

Mehr als ein Grunzen und ein halbherziges Lächeln brachte Percy nicht hervor.

„Falls Du fragen willst: Tu es nicht. Das Gleiche wie immer, Bob.“ raunte er, hing seine Jacke an die Garderobe und nahm den ihm zugewiesenen Platz ein.

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