28. August 2029
An Bord der Starship Explorer
Percy Williams und Kyle Forstall saßen in der zweckmäßig, aber einigermaßen komfortabel eingerichteten Pilotenkanzel der Starship Explorer. Durch die großen Sichtfenster in der Front des Raumschiffes drang die tiefe Schwärze des Alls in den Raum. Ihre Sitze waren dreieckig angeordnet. Percys Pilotensitz bildete dabei die vordere Spitze dieses Dreiecks. Die beiden Unterstützungsoffiziere nahmen jeweils links und rechts wenige Meter hinter ihm Platz. Gregory Morris Platz war leer.
Plötzlich hörte man hinter einer Luke, die sich am Boden eines röhrenförmigen Ganges befand, der vom hintere Ende des Cockpits bis zum Frachtraum des Raumschiffes reichte, ein dumpfes Rumpeln und Zischen. Kurz darauf öffnete sich die Luke und Gregory kletterte vorsichtig heraus.
„Es stinkt erbärmlich, Percy“
Gregory schloss den Zugang zum Sanitärbereich der Starship Explorer, verriegelte ihn mit einem leisen Klacken und warf dem Captain der Mission einen angewiderten Blick zu. Percy stand ein gewisser Stolz ins Gesicht geschrieben.
„Was, außer chemische Kampfmittel, soll ich bei diesem Fraß auch anderes produzieren, Greg? Nimm Dir unseren Professor als Beispiel! Er weiß um die Halbwertszeit meiner Toilettengänge und meidet sie daher dementsprechend, bis die…“
„…Luft rein ist?“ Gregory unterbrach Percy. „Dazu wird es wohl nie wieder kommen. Vielleicht sollten wir ein kleines Abzugsloch in die Außenwand bohren, direkt über der Schüssel.“
Kyle Forstall drehte sich mit seinem Sitz erschrocken zu den Beiden. „Das haben Sie doch nicht wirklich vor! Der Druckabfall würde wesentlich mehr als nur Percys Dämpfe ins All befördern!“
Percy und Greg sahen zunächst Kyle, dann einander an, schüttelten die Köpfe und wendeten sich wieder den Terminals zu, vor denen sie saßen.
„Außerdem: Doktor, nicht Professor.“ fügte Kyle hinzu. Natürlich in der Gewissheit, die beiden würden ihn ohnehin mit falschem Titel ansprechen, so lange es ihnen Spaß bereitete.
Die Starship Explorer war nun seit zehn Tagen unterwegs und die dreiköpfige Besatzung begann allmählich damit, so etwas wie ein alltägliches Miteinander zu entwickeln. Bei Percy und Gregory war das nicht all zu schwierig. Sie waren sich in punkto Alter, ihrem eher derben Humor und ihrer kaum zu bremsenden Zynik recht ähnlich. Außerdem waren sie beide geschieden. So gab es nie enden wollenden Gesprächsstoff über zerrüttete Ehen, katastrophale Ex-Frauen und heiße Affären, die der Eine hatte und die der Andere gern gehabt hätte.
Kyle hingegen war jung, voller Hoffnung und mit den Gedanken vor allem bei der Mission. Sie kamen bislang alle ganz gut miteinander aus, Kyle wahrte aber eine gewisse Distanz zum Rest des Teams. Während Percy und Greg sich kaum ansprachen, ohne dem jeweils anderen eine scherzhafte Beleidigung zukommen zu lassen, beließ es Kyle meist bei sachlichen Gesprächen. Er siezte die beiden nach wie vor.
Über sein Privatleben hatten die beiden alten Haudegen noch nicht viel herausfinden können, nur dass er aus Anaheim stammte, seine Eltern dort ein Fischrestaurant betrieben und er einige Wochen vor seinem Abflug von der Erde mehrere Rendezvous mit Anabel Myers hatte – einer Buchhalterin, die im Ames Research Center der NASA in Kalifornien tätig war. Da es bei diesen Dates aber entweder nicht zu körperlichen Interaktionen kam oder Kyle einfach nur nicht darüber sprechen wollte, hielt sich das Interesse der beiden anderen eher in Grenzen.
„Irgendetwas neues von Mission Control?“ fragte Kyle in den Raum.
„Nein, Professor.“ antwortete ihm Greg.
„Das wird wohl noch eine ganze Weile so gehen.“ sagte Percy. „Über die gesamte Reisedauer haben wir bis auf die notwendigen Wartungsarbeiten am Schiff und Kommunikationsversuche mit dem Wanderer keine großen Aufgaben.“
„Ich kenne unseren Auftrag, Captain.“ antwortete Kyle. „Vielleicht könnten wir etwas von unserer Reisezeit nutzen, um gemeinsam einen Blick auf die Protokolle der bisherigen Kommunikation mit dem Wanderer zu werfen. Ich komme an ein, zwei Stellen nicht weiter und wäre für ihre Gedanken dazu sehr dankbar.“
„Ich hoffe, bei den ein, zwei Stellen, die uns in dieses Raumschiff verfrachtet haben, warst Du Dir sicher, Prof!“ meckerte Greg.
„Ja doch. Es sind eher Eigennamen und dergleichen. Diese gilt es als solche zu identifizieren, damit man sie nicht primär als Übersetzungsgrundlage heranzieht.“ erklärte Kyle, dabei wild mit den Händen gestikulierend.
Greg stutzte. „Eigennamen? Was interessiert uns, ob unser Alien Horst oder Chewbacca heißt? Ist doch egal!“
Percy brachte Greg mit einer Handbewegung zum Schweigen und wendete sich Kyle zu. „Davon hattest Du doch gestern schon beim Abendessen erzählt. Geht es da nicht auch um den Namen seiner Heimatwelt?“
„Korrekt. Ich bin mir in einem konkreten Fall nicht sicher, ob es sich bei einem bestimmten Begriff um den Namen seines Heimatplaneten oder das Wort für ‚Heimat‘ in seiner Sprache handelt.“ Kyle atmete tief ein und wieder aus. „Ich bin mir bewusst, dass uns das ja ebenfalls egal sein kann, Mr. Morris, aber sollten wir noch mal die Chance für eine Unterhaltung mit dem Piloten des Wanderers erhalten, wären solche grundsätzlichen Informationen schon sehr hilfreich. Außerdem führt jeder übersetzte Begriff zu Rückschlüssen auf die Bedeutung weiterer Wörter.“
Gregorys Gesichtsausdruck veränderte sich in eine Mischung aus Verärgerung und Ratlosigkeit. „Und was ist das für ein Wort?“
Kyle tippte ein paar Befehle in sein Terminal.
„Muni.“
