18. April 2029
Leer, Niedersachsen
Deutschland
„Hast Du morgen Früh- oder Spätschicht?“ fragte Ben.
„Früh.“ antwortete Sabine. Beide standen in der Küche ihrer Stadtwohnung und bereiteten Zutaten für das Abendessen vor.
„Hm. Ich wünschte, ich hätte morgen Nachmittag auch frei.“ Ben nahm ein Messer aus einer der Küchenschubladen und begann damit, eine Gurke zu schälen. Er kochte gern, aber das Zerkleinern von Gemüse hielt er für eine unzumutbare Belastung und eine Strafe des Universums. Immerhin hatte er sich die Gurke sichern können, so blieb die noch viel unpraktischer zu zerteilende Paprika Sabines Job.
Sabine sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Wegen dem NASA-Ding?“
„Ja. Wegen der NASA Pressekonferenz.“
Sabine nahm Ben die geschälte Gurke vom Schneidebrett und hackte sie zu kleinen Würfelchen. „Was denkst Du, was sie erzählen? Auf der Arbeit drehen sie auch schon deswegen durch!“.
„Keine Ahnung.“, antwortete Ben. „Vermutlich haben sie was über das schwarze Loch herausgefunden. Worum sollte es sonst gehen? Reichst Du mir mal bitte die Paprika?“. Na toll, also doch die Paprika.
„Nee, lass mal, die mach ich! Du kannst schon mal das Hackfleisch anbraten.“ Na also, geht doch!
Ben öffnete den Kühlschrank und nahm die Packung Hackfleisch heraus, die er vorhin im Supermarkt gekauft hatte. Vielleicht lag es am überfüllten Supermarkt, an der dreiviertel Flasche Wein, die er im Laufe der letzten halben Stunde in sich gekippt hatte oder am trüben Wetter der vergangenen Tage – irgendwie fühlte er sich mies. Außerdem brauchte die Herdplatte heute außergewöhnlich lang, um heiß zu werden.
„Denk dran, dass wir noch etwas Wein zum Ablöschen der Tomatensoße brauchen!“ merkte Sabine an, während sie ihn samt Weinflasche in der Hand vorwurfsvoll anblickte. „Und außerdem hätte ich auch noch gern ein Glas gehabt.“
Ben grinste dümmlich, ging zur Spüle, wusch sich schnell die Hände, trocknete sie und griff dann in den Einkaufsbeutel, der noch nicht vollständig ausgeräumt auf dem Esszimmertisch lag.
„Als wenn ich jemals nur eine einzelne Flasche Wein kaufen würde.“ Er nahm zwei Flaschen aus dem Beutel und stellte sie ins Küchenregal. Damit hatte sich das Thema fürs Erste erledigt.
Nach einem gelungenen Abendessen samt einer weiteren Flasche Rotwein, die Ben diesmal allerdings nicht ohne Hilfe von Sabine geleert hatte, verabschiedete er sich für einen kurzen Moment in sein Büro. Dort stand das Teleskop, dass er sich im Winter vor etwas mehr als vier Jahren, unmittelbar nach Auftauchen des schwarzen Loches, gekauft hatte.
Damals waren er und sein Freund Jochen zwei der weltweit ersten Hobbyastronomen, denen die sich zu jenem Zeitpunkt ereignende Vernichtung Saturns durch Moro’s Auge aufgefallen war. Berühmt hatte sie das nicht gemacht, aber es reichte für ein paar tausend Karmapunkte in der Online-Community reddit. Seither blickte er beinahe täglich durch das Teleskop – mehr aus Routine als aus der Hoffnung heraus, erneut eine bahnbrechende Entdeckung zu machen. Jochen, der sich mittlerweile ein eigenes Teleskop zugelegt hatte, tat es ihm oft gleich.
Ben öffnete das Fenster seines Büros und schob das Teleskop an eine Position, von der aus er an den Häuserschluchten vorbei einen einigermaßen guten Blick auf den Nachthimmel werfen konnte. Auch heute war dort bis auf ein paar Wolkenfetzen, an denen sich das Licht eines irgendwie anstrengenden Vollmondes brach, nichts Interessantes zu beobachten.
Er schrieb Jochen eine Kurznachricht. „Nichts, oder?“
„Nope. Bierchen am Hafen?“
Ben schmunzelte. „Ich hatte schon mindestens anderthalb Flaschen Wein.“
„Darum ja.“
Er lehnte das Angebot ab, schlug aber als Alternative vor, sich am darauffolgenden Abend die Aufzeichnung der nachmittäglichen NASA-Pressekonferenz gemeinsam anzusehen. Mit Bier. Und Pizza. Jochen sagte zu.
Ben schloss das Fenster, schob das Teleskop wieder an seinen ursprünglichen Platz und ging zurück ins Wohnzimmer. Sabine war auf dem Sofa eingeschlafen. Er wackelte an ihrem unter der Wolldecke hervorblitzenden großen Zeh und sie öffnete zögerlich die Augen.
„Bett?“ fragte er.
„Bett.“ antwortete sie.
